Es war am 1. Juli 2017 beim Schildkrötenwochenende in Peine. Ich hielt gerade einen Vortrag über unterschiedliche Auflagen, die Auffangstationen und Tierheime im Vergleich zu Züchtern und Haltern zu erfüllen haben. Da rutschte das Wort „Vermehrer“ aus mir heraus. Sofort war sie wieder da. Die negative Stimmung unter den Zuhörern, und das Raunen im Saal begann. Es scheint, der Begriff „Vermehrung“ wird zum negativen Synonym verantwortungsloser Zucht.

Doch wo liegt der Unterschied zwischen Zucht und Vermehren?

Hier mal eine kurze Definition der Begriffe:

Vermehrung = Reproduktion = Erzeugung neuer, identischer oder weitgehend ähnlicher Individuen von Lebewesen.

Zucht = gezieltes Kultivieren von Tieren (Dabei sollen gewünschte Eigenschaften verstärkt und unerwünschte Eigenschaften durch entsprechende Zuchtauslese zum Verschwinden gebracht werden.) Und das Ergebnis davon ist die Aufzucht von Tieren…

Erhaltungszuchten verfolgen das Ziel eine Art genetisch rein zu halten, so dass sie sich von ihren Artgenossen in den jeweiligen Herkunftsgebieten in nichts unterscheiden.

Fazit: Vermehrung ist also nicht negativ – aus artenschutzrechtlicher Sicht…

Tierschützer sehen das dann schon etwas differenzierter – na ja, eigentlich sehen sie es ganz anders.

Sie sehen in der Vermehrung häufig nur das Leid der Tiere, die später in Auffangstationen, Tierheimen und Pflegestellen landen. Sie sehen die Tiere, die eingepfercht in Plastikdosen auf Messen und Börsen von Händlern und Züchtern angeboten werden. Sie sehen nur die negativen Folgeerscheinungen des Vermehrens.

Ich sehe das anders, obwohl ich heute aktiver Unterstützer von Tierheimen und Auffangstationen bin.

Auch ich habe schon griechische Landschildkröten vermehrt. Insgesamt zehn Nachzuchten habe ich in den Jahren 2010 und 2011 gezielt nachgezogen. Meine Gruppe bestand damals aus deutschen Nachzuchten, deren Herkunft nicht mehr nachvollziehbar war. Ich habe damals lange nach neuen, geeigneten Haltern gesucht. Ich habe meine Nachzuchten damals an Menschen abgegeben, von denen ich damals annahm, dort geht es den Tieren sicher gut. Aber ich gebe zu, dass  ich heute nicht weiß, ob diese Menschen überhaupt noch Schildkröten halten. Ich bin ein Vermehrer. Ich bin böse.

Nüchtern gefragt: Gibt es nicht auch weitere positive Aspekte neben der Arterhaltung, die für eine Vermehrung sprechen? Z.B.

  • Ein flächendeckendes Netz an Schildkrötenzüchtern und Vermehrern hätte den Vorteil der kurzen Transportwege für die Tiere, bzw. bei einer Direktvermarktung würde der Käufer wissen, woher seine Schildkröten kommen.
  • Deutsche Züchter und Vermehrer sorgen für weniger Importe aus den Herkunftsländern oder Drittstaaten.
  • Regionale Zucht und Vermehrung kombiniert mit der richtigen Verkaufsmethode und der konsequenten Achtung der Sachkunde kann zu weniger Tierleid führen. Jeder regionaler Vermehrer und Züchter, sowie jeder Halter der Tiere abgibt, kann Botschafter für die Tierart sein, die er vermittelt.

Anders herum gefragt, was bedeutet ein Vermehrungs- und Zuchtverbot in Deutschland für alle Beteiligten?

  • Da es kein Import- und Haltungsverbot gibt, werden Tiere weiterhin und dann um ein vielfaches aus den Herkunftsländern, und aus Zuchtfarmen in Drittländern importiert (die sind meistens sowieso billiger als hiesige Nachzuchten).
  • Gute und artgerechte Haltungen zeichnen sich durch optimale Klima- und Umgebungsgegebenheiten aus. Eine versehendliche Vermehrung durch unentdeckte Gelege würde den Halter zur Selbstanzeige zwingen, und aus ihm einen Kriminellen machen. Während überall auf der Welt der illegale Handel mit geschmuggelten Tieren und der legale Handel mit gezüchteten Tieren weiter geht.
  • Die Nachfrage nach legalen Tieren würde ja nicht weniger werden, es sei denn man erzwingt auch ein Haltungsverbot für solche Tiere. Und was passiert mit den bereits hier lebenden Schildkröten, wenn man wirklich auch noch ein Haltungsverbot erwirkt? Tierheim oder Tötung?

Vermehrung ist grundsätzlich nicht negativ. Es kommt vielmehr darauf an, wer vermehrt. Und wo hin die vermehrten Tiere dann kommen. Denn wenn wir alle mal ehrlich sind, viele Zuchttiere und Zuchtgruppen leben in artgerechten Gehegen. Wo hin die daraus resultierenden Jungtiere dann gehen, obliegt dem Verkäufer und Vermittler. Und wie die Schildkröten dann gehalten werden, ist ganz alleine die Ansichtssache des späteren Halters. Tierheime und Auffangstationen konkurrieren mittlerweile mit dem Handel und dem Direkt-Vermarkter um die wenigen freien, guten Plätze für die Tiere.

Fair wäre eine Gleichbehandlung von Tierheimen, spezialisierten Auffangstationen, Pflegestellen, Züchtern und Händlern. Mit anderen Worten, gleiche bundesweite Auflagen für alle:

  • Mindestanforderungen im Sinne der artgerechten Haltung, und der Tiere hochsetzen für Halter, Händler und Pfleger und Züchter und flächendeckende Kontrollen der Gehege…
  • Artspezifische, theoretische und praktische Sachkundeprüfungen für Halter, Pfleger, Händler und Züchter…
  • Generelle Gesundheitsüberprüfung der Abgabe und Zuchttiere, sowie Hygieneüberprüfungen der Anlagen…

Ich höre den Verwaltungsangestellten meiner Behörde jetzt schon stöhnen. Wer glaubt denn bitte schön wirklich, dass wir solche Forderungen durchsetzen, geschweige denn kontrollieren können? Wir schaffen es in der Nahrungsindustrie gerade mal einen geringen Bruchteil der Produktionsstätten regelmäßig zu kontrollieren. Und jetzt wollen wir ein funktionierendes Kontrollorgan bei den Schildkrötenhaltern und Exoten-Züchtern einführen und durchsetzen…? Also bitte…

Es gibt nur eine Lösung. Zusammen setzen und reden. Gemeinsam nach einer Lösung suchen, wie wir gemeinsam zukünftig Tiere vermitteln wollen? Freiwilliger Verkaufsverzicht hat z.B.  in Sachen Hund auch nicht wirklich geholfen. Der Markt für diese Tiere ist weiterhin unendlich groß. Die Zucht dieser Tiere durch Verbände und Vereine zu kontrollieren hat in der Vergangenheit auch nur gezeigt, dass z.B. Rassehunde teuer sind, obwohl sie überzüchtet werden.

Lasst uns mit dem Handel, den Züchtern und Vermehrern, den Amtsveterinären, den Behörden, den Tierschützern und Artenschützern nach einer Lösung suchen, mit der hinterher alle gut leben können. Ins besondere die Tiere, um die es eigentlich die ganze Zeit geht.

Wir alle tragen zum Wohle und zum Leid der Tiere bei. Jeder hat seinen Anteil daran, wie es den heute und zukünftig gehaltenen Tieren geht.

Vermehrer darf kein negatives Wort sein. Ich kenne viele Halter, die schon Schildkröten vermehrt haben. Auch wenn sie es heute nicht mehr tun, sind sie Vermehrer. Die Vermehrung gesunder Tiere ist positiv zu werten. Negativ hingegen ist der leichtsinnige Umgang mit neuen Tieren im Bestand. Quarantäneverweigerer, Herpesvirose-Ignorierer und der Gedanke an: „ach ja, wird schon nichts passieren“ wirken sich oft negativ auf die Gesundheit der eigenen Schützlinge aus. Das ist negativ. Und die Scheinheiligkeit vieler, die keine Möglichkeit auslassen z.B. über Quarantäne zu reden, sie dann aber selber im eigenen Bestand vernachlässigen – das ist negativ.

Die Pioniere der Terraristik haben Jahrzehnte damit verbracht unser heutiges Wissen über die Exoten, die heute bei uns leben aufzubauen. Diapausen, Scheitelpunkte, klimatische Bedürfnisse und eine Menge Fehlschläge waren leider dafür notwendig, dass wir heute in der Lage sind, besonders geschützte Tiere zu reproduzieren. Das alleine ist nicht verwerflich und negativ.

Der Umgang mit den produzierten Tieren hinterher ist das was sich positiv verändern muss.

 

Text: Ralf Czybulinski

 

 

 

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